Fasziniert, hingerissen, bezaubert, verzaubert und entzückt stürze ich in den Traum, den die Anima mir vorgaukelt.
Ich merke nicht, dass es mir gar nicht in erster Linie um den anderen Menschen als Person geht, sondern um das Wunderbare, das ich durch ihn erleben kann, dass ich also eigentlich seine Funktion meine, die er an mir erfüllt. Damit jedoch entwürdige ich den anderen Menschen.
Ich überlege auch nicht, was sein wird, wenn er einmal nicht mehr "funktioniert", wenn er meinen Vorstelungen nicht mehr entspricht. Im Sinne von Verantwortung mache ich mir um den anderen wenig Gedanken, dass ich eventuell tief in sein Leben eingreife.
Ich tue den Schritt in die Liebe nicht, bleibe in der VERLIEBTHEIT stecken, in Täuschung und Selbsttäuschung.
In meiner Verliebtheit täusche ich mich über den anderen, sehe ihn "verklärt", aber nicht, weil ich das Ebenbild Gottes in ihm erkenne, sondern weil ich mir ein Wunschbild von ihm gemacht habe (Projektion) und meine Augen vor seinen Fehlern und Schwächen und Schatten verschließe. Unbewusst fürchte ich Enttäuschung und Ernüchterung, wohl darum stürze ich mich in meine "große Liebe" wie in einen Rausch.
Ich täusche mich auch über mich selbst.
Ich verspreche u. U. "das Blaue vom Himmel" und weiß nicht, dass ich es nicht halten werde. Ich bin von meiner Liebe und Fähigkeit zur Treue überzeugt sowie von all den guten Eigenschaften, deren ich in meinem erhobenen bzw. abgehobenen Zustand auch tatsächlich fähig bin. Aber ich übersehe, dass meine Liebe nur Verliebtheit ist und darum keine Durchhaltekraft hat und zudem auf Selbsttäuschung (Projektion) beruht und darum mit der Ent-Täuschung und Ernüchterung ein Ende finden wird. Wie eine Seifenblase zerplatzt.
Dann ist es mit der "großen Liebe" aus, so plötzlich, wie es begonnen hat. Dann meine ich den anderen Menschen endlich realistisch zu sehen, bin aber in Wirklichkeit nur einer neuen Täuschung zum Opfer gefallen.
Sie wie ich zuvor, von Gefühlen überwältigt, durch die rosarote Brille meiner Wunschträume die wirklichen und eingebildeten Lichtseiten des anderen Menschen im Vordergrund sah, so sehe ich nun mit kühlem Kopf und Verstand erneüchtert seine Schattenseiten. Das eine ist so weit von der Wirklichkeit wie das andere. Man sieht nur mit dem Herzen gut (=realistisch), wie es in "Der kleine Prinz" von Seint-Exupéry heißt.
Das Herz grenzt weder Verstand noch Gefühl aus, das Herz als Repräsentant der Ganzheit des Menschen erlaubt es uns, gleichsam mit den Augen Gottes d. h. mit den Augen der Liebe zu sehen. Und nur was wir lieben, können wir erkennen.